ZWISCHEN KONKRETHEIT
UND BIOMORPHIE,
ELEGANZ UND BEDEUTUNG.
Kunst hat mit Zügen ihrer Zeit zu tun, so sehr sie immer wieder als Gegenzug zur Zeit und zu den Zeiten interpretiert wurde. Das gilt auch für die Konkrete Kunst, wie sie im 20. Jahrhundert entstand. Aus ihren klassizistischen Zügen deutete man ihr eine Intention auf Zeitlosigkeit an. In ihren Werken habe sie sich aus der Zeit erheben wollen zu zeitlosen Schönheiten noch nicht gesehener Art. Wenn man aber ihrer Entwicklung folgt von Delaunay, Malewitsch, Kandinsky über Albers und Bill bis zu etwa Gomringer und Göschl, dann lassen sich wachsende Anlehnungen an so mathematische wie geometrische oder, wie etwa besonders bei Gomringer und ihm Verwandten, an exakt versicherbaren Strukturen der Sprachen und Schriften überhaupt nicht leugnen oder übersehen. Und all diese Kunst entstand zu Zeiten, wo in Euroamerika Mathematik und mathematische Physik die Leitwissenschaften waren, zur anderen Seite hin die sich zu Empirie und Exaktheit hin völlig verwissenschaftlichende Sprachtheorie. Selbst falls man den von den USA her aufgekommenen Abstrakten Expressionismus zur Konkreten Kunst eingemeinden will, ist Orientierung an zeitgemäßer Leitwissenschaftlichkeit nicht verlassen. Zwar nun nicht Mathematische Physik und Sprachwissen-schaften, doch im Abstrakten Expressionismus ging es um die besonders in den USA dazugetretene Leitwissenschaftlichkeit der Tiefenpsychologie, den Freudianismus und sein Ringen um das Bewußtmachen des Unbewussten.
Nun hat sich in der Leitwissenschaftlichkeit Einiges euro-amerikanisch verändert. Schon die Umgewichtung der physikalischen Forschung von der einfachen Mechanik zur Elektrizitätslehre und den Phänomenen des Strahlens wie Strömens näherte die Theorie der unlebendigen Natur der lebendigen Natur an. Allerdings hatte das zunächst gerade die Folge eines Leitbildwerdens der Physik für die Biologie. Doch in dem Maß wie derart die Einsicht wuchs, daß das Lebendige existiert als Strömungs- und Strahlungswesen auf der Basis von Strömen und Strahlen in einem Umfeld von Strömung und Strahlung, der romantische Philosoph Friedrich Schelling hatte schon im Beginn des 19. Jahrhunderts eine Ahnung davon gefasst, stellte sich eine Umkehr der Leitwissen-schaftlichkeit ein, die Biologie wurde zur Leitwissenschaft in unseren letzten Jahrzehnten.
Und nun Weiterentwicklungen der Konkreten Kunst? Meine Behauptung: sie entwickelte sich genau in der Zeit dieser letzten Jahrzehnte zur Biomorphie. Die Biomorphie wird unterstützt durch den Umstand, dass auch computer-generierte Bildwelten eine Tendenz zum Biomorphen aufzeigen. Man könnte zwar sagen, das Biomorphe gewänne geradezu eine Abbildlichkeit zum evolutionären Formen- und Strukturenreichtum der lebendigen Natur. Und insofern gehöre die Biomorphie in den Künsten heute nicht zur Konkreten Kunst. Doch die Kunstphänomenalität des Biomorphen bildet denn doch Formen und Strukturen aus, wie sie in der gegebenen Natur nicht vorliegen. Würde man dieses Argument nicht gelten lassen wollen, dann müsste anders behauptet werden, die gesamte vorangegangene Konkrete Kunst hätte Formen und Strukturen der Geometrie und mathematischen Physik abgebildet, wäre also auch voller Abbild statt Neubild. Etwas abgewandelt gelte das desgleichen für die konkrete Poesie.
Also lassen wir den Streit zwischen Biomorphie und Konkretheit einmal beiseite.
Ich habe nur deswegen in die Biomorphie und die Konkrete Kunst eingeführt, weil die Skulpturen Hubert Hanghofers zunächst wie Konkrete Kunst erscheinen und dann einen an biomorphe Formenwelt zu erinnern beginnen. Die letzte Assoziation gewinnt man aus dem Strömungs-charakter, der sie ausfließend, abwärts fließend, aufwärts fließend macht. Ständig muß der Blick mit ihnen sich lebendig dehnend und zusammen-ziehend (Systole- Diastole) mitwandern und mitatmen bis zum Auslauf in runde Spitzen oder Bögen und zurück zur Basis, dabei in Drehungen rings um den Stamm herum und in dessen Aushöhlungen hinein, um in ihnen abwärts und aufwärts so zu gleiten wie zu kreiseln. Strömungsfiguralität also im Verengen und Weiten und Drehen und Spiralisieren.
Das Biomorphe ist hier einer gleichsam so zu nennenden Drehkörpergeometrie vermittelt. Also doch auch Geometrie, aber eine sehr lebendige der Drehungen, Beugungen, Krümmungen, Wendungen zwischen Innen – Außen / Außen – Innen der Halbhöhlen und Halbrundungen. Dabei sind die Drehungen und Krümmungen derart raffiniert ausgeführt und eigentlich in jedem Punkt jeder Skulptur am Werk, daß man im zweiten Blick-Schritt an die Möbius-Schleife erinnert wird, also an jenes Irrationale, das sich genauesten Berechnungen hingibt, damit genaueste Berechnungen sich ihm hingeben. Das Irrationale wird vom Rand her anschaulich umkreist und umstreift.
Es verstärkt sich in der Anschauung aus der vehementen Glätte aller Oberflächen, wodurch ein scheinbar unberechenbares Ineinanderspiel aus Anhellendem und Verschattendem sich erzeugt. Wie sehr das Irrationale in das Rationale verflochten ist und umgekehrt, keines kann ohne das Andere, statt daß sie sich gegenseitig ausschließende Gegner wären, das scheint das Grundthema von Hanghofer zu sein, es drängt sich wenigstens durch seinen Skulpturenpark auf.
Hanghofer steht mit den Arbeiten hier zwischen Biomorphie und Prozessgeometrie. Zu diesem Gesichtspunkt fällt einem ein, daß sich der Künstler an Werkzüge von Brancusi angelehnt haben möchte. Gewiß aber liegt ein Zusam-menhang mit den gestalterischen Folgen der Stromlinie vor, wie sie aus den neuen Ver-kehrstechniken der Luft- und Seefahrt geboren wurde, immer wieder aufs Auto übertragen, futuristische Hintergründe winken.
Kein Wunder, daß eine außergewöhnliche Eleganz in Bewegung statt monumentaler Statuarik entsteht, die einen sofort in sich aufsaugt und dann doch an der Glätte selbst aus den Höhlungen abgleiten lässt ins Freie aus der Eingefangenheit der Einhöhlungen heraus. Mit der Eleganz hat auch die ausgeklügelte Statik zu tun, nicht zu verwechseln mit der eben erwähnten Statuarik. Es handelt sich um eine an sich labile, doch zuverlässig haltende Statik, fast wie bei Seenelken und Korallen. Sollte man vom Anschauungseindruck her von einer flüchtigen Statik sprechen? Jedenfalls glaubt man den Skulpturen nicht so recht ihr Standrecht, und doch stehen sie. Was wieder mit dem anschaulich umrundeten Irrationalen zusammenhängt.
Eleganz in ihrer Beweglichkeit und Flüchtigkeit, beide gehören sie gewiss zur Eleganz, das noch so Schöne ohne Beweglichkeit kann man nicht elegant nennen, das ist sicher ein ganz wichtiges Kunstthema, wenn auch nicht das zentrale. Die Kunst hat viele Aufgaben. Vergäße sie dabei aber die Eleganz oder verdrängte oder verfluchte sie, dann hätte sie ihr liebstes Kind ausgesperrt.
Und doch erschöpft die problematisierte Eleganz nicht den Horizont der Hanghofer’schen Skulpturarbeiten. So wie er sich durch Strömungs-figuralität der Biomorphie entzieht in die ans Irrationale streifende Prozessgeometrie hinein und wiederum durch deren irrationale Ränder sich dem Biomorphen nähert, so entzieht er sich der blanken Konkretheit durch Titelei. Plötzlich taucht ein Mehr an Bedeutsamkeit auf als das bloß Strömungs-figurale samt Licht-Schattenspiel der extrem geglätteten Oberflächen. Und das Überraschende, die Titelsymbolik wurde nicht willkürlich vergeben, weil schließlich Alles Alles bedeuten könnte. Sondern ihre Bedeutungen lassen sich in den konkreten Figuren der Skulpturen ersehen, so das „Duale“ aus den gegeneinander durch Drehung quergelegten Halbhöhlungen in ihrem verkreuzten Gegenüber, so das „Tanzen der Schlange“, ohne daß ich das weiter beschreiben müsste, außer mit dem Hinweis, die Figur nähere sich sehr der Schlange, die sich in den Schwanz beisst, und doch tut sie es nicht, oder die „fliegende Flasche“, kein weiterer Kommentar, alles zu ersehen, auch die Halbiertheit der Flasche, fassungsunfähig, oder der Schrei der Welle, oder die in ihrem Trocknen zu einer scheinbar irrational gekrümmten Figur verbogene Scheibe Brot?, die ursprünglich „Zwei Seelen“ genannte Skulptur der sich zuspitzenden und zueinander beugenden Bögen, ein Zueinanderbeugen, das Seelen wollen, indem sie andeuten, daß sie per Elastizität auch auseinander fahren könnten?, nun mit dem Titel „Synthesis“ geheißen: Tendenzstarke und doch hochgefährdete „Synthesis“ also?, wie jede Synthesis gefährdet ist?, und andere Bezüge!
Indem aber die Figuren, insbesondere der „Silberton“ und das „Steinfeuer“, auch so vieles Andere bedeuten könnten, kehren sie wiederum in die blanke Konkretheit zurück, die nichts anderes meint als sich selber, Selbstreferentialität!
Hanghofer meint deren dauerndes Sichselbstverlassen im Selbstverrat, weil sie es nicht bei sich aushält. Das ist Thema von heute.
Bughart Schmidt, Dr. Phil.habil.,
Professor für Sprache und Ästhetik und Vizepräsident
der Hochschule für Gestaltung Offenbach a. M.,
Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien
Einschlägige Publikationen vom Textautor:
Postmoderne- Strategien des Vergessens, Suhrkamp, Frankfurt 1994
Bild im Ab-wesen, Ed. Splitter, Wien 1998